Als #Spurenleser auf den Spuren jüdischen Lebens in München

Spuren sind nicht immer einfach zu lesen, vor allem wenn es nur wenige gibt und man sie nicht kennt. Als #Spurenleser habe ich mich bei einem Tweetwalk der Pinakotheken und des Jüdischen Museums auf die Spuren jüdischen Lebens in München begeben. Dabei entdeckte ich historische Stätten ehemaliger Synagogen, lernte die Gegenwart und Zukunft der jüdischen Gemeinde in München näher kennen und stellte mal wieder fest, dass ich öfter ins Museum gehen sollte.

Was ist ein Tweetwalk?

Bei einem Tweetwalk laufen Menschen durch die Stadt oder durch eine Ausstellung im Museum und teilen in Echtzeit das Erlebte mit ihren Followern. Über einen gemeinsamen Hashtag, in diesem Fall #Spurenleser, kann der Tweetwalk im Social Web nachverfolgt und kommentiert werden.

#Spurenleser unterwegs in München

#Spurenleser unterwegs in München

Für Unbeteiligte mag solch ein Tweetwalk ziemlich komisch aussehen. Die Teilnehmer starren mit gesenktem Kopf auf ihre Smartphones, drücken wild auf ihren Displays rum, erstellen ununterbrochen Fotos und Videos. Ich mag Tweetwalks sehr gerne. Zum Einen erhält man in der Regel kostenlos besondere Einblicke, zum Anderen ist es jedes Mal eine spannende Herausforderung zuzuhören und gleichzeitig seine Gedanken in 140 Zeichen zu teilen.

Als #Spurenleser in der Pinakothek der Moderne

Unser #Spurenleser-Tweetwalk beginnt in der Pinakothek der Moderne wo uns Antje Lange, Organisatorin des Tweetwalks, und die Kuratorin Caroline Fuchs empfangen. Wir schauen uns die Ausstellung „Johanna Diehl: Ukraine Series“ an. Die Hamburger Fotografin hat sich in der heutigen Ukraine auf die Suche nach ehemaligen Synagogen begeben. In der antireligiösen Sowjetunion wurden Synagogen zwischen den Weltkriegen enteignet und teilweise umfunktioniert in kommunale Zentren wie Kinos, Sporthallen und Klubs. Viele dieser Orte werden heute noch in dieser Funktion genutzt und können daher besichtigt werden. In Deutschland ist das selten möglich, hier wurden die meisten Synagogen während des Nationalsozialismus zerstört.

Johanna Diehl zeigt die Gebäude der ehemaligen Synagogen ausschließlich von Innen und menschenleer. Dadurch konzentriert sich der Blick auf die Ausstattung der Räume. Oft sind Hinweise auf die ursprünglich religiöse Nutzung sichtbar.

In der Ausstellung "Johanna Diehl: Ukraine Series"

In der Ausstellung „Johanna Diehl: Ukraine Series“

 

Die Fotografien zeigen die einstigen Synagogen menschenleer

Die Fotografien zeigen die einstigen Synagogen menschenleer

 

Jüdische Spuren in den umfunktionierten Synagogen

Jüdische Spuren in den umfunktionierten Synagogen

 

Neben den Gebäuden hat sich Johanna Diehl auch auf die Suche nach den Erinnerungen an die Zeit vor der Umfunktionierung gemacht. Während sich die alte Generation meist noch erinnert, wissen junge Ukrainer oft nicht, dass ihre Schulturnhalle früher eine Synagoge war. Wer liest schon Spuren ohne zu wissen, dass es welche gibt?

Viele Synagogen wurden zu Turnhallen umfunktioniert

Viele Synagogen wurden zu Turnhallen umfunktioniert, erzählt Kuratorin Caroline Fuchs

 

Die Ausstellung „Johanna Diehl: Ukraine Series“ läuft noch bis zum 06. März 2016 in der Pinakothek der Moderne in München. Pro-Tipp: Am Sonntag kostet der Eintritt in die Pinakotheken nur einen Euro.

Als #Spurenleser ehemalige Synagogen in München entdecken

Nach dem kurzen Einblick in die Ausstellung begeben wir uns auf die Spurensuche ehemaliger Synagogen in München. Caroline Fuchs hat dafür einen Spaziergang durch die Stadt für uns zusammengestellt. Im Folgenden erzähle ich dir von den Synagogen in ihrer geschichtlichen Reihenfolge. Wenn du dich selbst auf Spurensuche begeben möchtest, empfehle ich dir die #Spurenleser Route auf Google Maps.

Die Mittelalterliche Synagoge

Der Marienhof hinter dem Neuen Rathaus ist heute eine grüne Oase mitten in der Altstadt Münchens. Hier ruht sich der Münchner und Tourist von den Strapazen des Einkaufens aus und lauscht den Straßenmusikanten. Im Mittelalter stand hier die erste Synagoge Münchens.

Auf dem Marienhof stand einst die erste Synagoge Münchens

Auf dem Marienhof stand einst die erste Synagoge Münchens

 

Bereits im 13. Jahrhundert gab es eine jüdische Ansiedlung in München. Die erste Erwähnung eines Münchner Judens ist von 1229. 1380/81 wurde die erste Synagoge eingerichtet. Schon damals wurden Juden verfolgt und getötet. München war sehr intolerant gegenüber den Juden, erzählt uns Caroline Fuchs. 1440 wurden die Juden aus München ausgewiesen, eine Ansiedlung war ihnen verboten. 1442 verschenkte Herzog Albrecht III. das Gebäude der Synagoge an seinen Leibarzt Dr. Johannes Hartlieb. Er lies das Haus in der ehemaligen Judengasse zum Wohnhaus umbauen und errichtete im Keller eine Marienkapelle. Als die Kapelle für den Andrang der Bevölkerung zu klein wurde, trug man das Haus ab und die Gruft wurde überwölbt und auf ihr die Marienkapelle gebaut, die auch als Gruftkapelle bekannt war. Die Judengasse wurde zur Gruftstraße, die heute Teil der Marienhofwiese ist.

Die Metivier-Synagoge in der Westenriederstraße 10

Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siedelten sich wieder Juden in München an. Die nächste Synagoge in München wurde 1826 eingeweiht und befand sich in der heutigen Westenriederstraße 10. Die Metivier-Synagoge war von aussen kaum zu erkennen, da man sie von den anliegenden Wohnhäusern nicht unterscheiden konnte. Dies geschah auch aus Schutz vor Übergriffen, denn Bürgerrechte erhielten Juden erst in Folge der Gründung des Deutschen Reiches 1871.

Die Metivier-Synagohe war damals unscheinbar, heute fehlt jede Spur

Die Metivier-Synagohe war damals unscheinbar, heute fehlt jede Spur

 

Als die Metivier-Synagoge zu klein für die jüdische Gemeinde in München wurde, baute man die (Alte) Hauptsynagoge. Aus Kostengründen gab man später die Metivier-Synagoge auf. Sie wurde somit nicht durch die Nationalsozialisten zerstört. Vielleicht ein Grund, warum keine Gedenktafel auf die einstige Synagoge hinweist.

Die Alte Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße

Die Alte Hauptsynagoge wurde von 1883 bis 1887 erbaut und stand in der heutigen Herzog-Max-Straße. Ein Denkmal erinnert an die Synagoge, die bereits im Juni 1938 auf Befehl von Hilter abgerissen wurde. Sie war damit eine der ersten Synagogen, die im Nationalsozialismus zerstört wurden. Ein trauriges Zeichen dafür, welche Rolle München damals als „Hauptstadt der Bewegung“ eingenommen hat. Zum Glück konnten die Juden vorher die Torarollen und Ritualien in Sicherheit bringen. Die Orgel wurde schon vorher zum Ärgernis der Nazis an die Kirche St. Korbinian verkauft und 1944 bei einem Bombenangriff zerstört.

#Spurenleser: Denkmal Alte Hauptsynagoge

Das Denkmal für die Alte Hauptsynagoge

 

#Spurensuche: Foto der Alten Hauptsynagoge vor dem Denkmal

Die Alte Hauptsynagoge damals und nach der Zerstörung

 

Die Orthodoxe Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße 1

Von 1891 bis 92 wurde die Orthodoxe Synagoge Ohel Jakob gebaut. Wie viele Synagogen in Deutschland wurde sie in der Reichskristallnacht am 9. November 1938 von den Nazis niedergebrannt. Auch hier erinnert eine Gedenktafel an die einstige Synagoge. Die Gedenktafel wurde übrigens erst 1969 auf Anregung eines deutsch-israelischen Journalisten in der Rudolf-Herzog-Straße 1 angebracht. Mir scheint, dass das Erinnern nach dem Krieg etwas Zeit gebraucht hatte.

#Spurenleser: Foto der Orthodoxen Synagoge Ohel Jakob vor der Gedenktafel

Heute erinnern nur Fotos und eine Gedenktafel an die Orthodoxe Synagoge

 

Die Ostjüdische Synagoge in der Reichenbachstraße 27

Nach Beginn des 20. Jahrhunderts zogen viele Juden aus dem Osten nach München. 1931 wurde die Ostjüdische Synagoge in der Reichenbachstraße 27 eingeweiht. Es gab also eine kurze Zeit, in der es drei Synagogen in München gab. Auch diese Synagoge fiel der Zerstörungswut in der Reichskristallnach zum Opfer. Allerdings löschte die Feuerwehr die Flammen aus Angst, dass das Feuer auf die umliegenden Häuser übersprang. Die Synagoge an der Reichenbachstraße wurde später durch Bomben zerstört.

Vor der Synagoge in der Reichenbachstraße

Vor der Synagoge in der Reichenbachstraße

 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Synagoge wieder aufgebaut und 1947 wieder eröffnet. Bis zur Einweihung der neuen Synagoge Ohel Jakob war die Synagoge in der Reichenbachstraße die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde in München.

Als #Spurenleser im Jüdischen Zentrum Münchens

Die letzte Station unseres #Spurenleser-Stadtspaziergangs bringt uns zur Gegenwart und Zukunft des jüdischen Lebens in München. Das Jüdische Zentrum am Jakobsplatz besteht aus der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob, die am 9. November 2006 eingeweiht wurde, dem Gemeindehaus und dem Jüdischen Museum. Die Gebäude bilden eine architektonische Einheit und stehen doch für sich. Durch den unterirdischen Gang der Erinnerungen, an dessen Wand die Namen von rund 4.500 Münchner Juden stehen, die während dem Nationalsozialismus ermordet wurden, sind die Gebäude miteinander verbunden.

Neue Hauptsynagoge Ohel Jakob, dahinter das Jüdische Museum

Die neue Hauptsynagoge Ohel Jakob, dahinter das Jüdische Museum

 

Die Ohel Jakob Synagoge ist leider nicht öffentlich zugänglich. Immer noch herrschen besondere Sicherheitsvorkehrungen. Es macht mich ehrlich gesagt traurig, dass das nach wie vor notwendig ist. Mit etwas Vorausplanung kannst du die Synagoge im Rahmen einer Führung besichtigen. Ich hab das leider noch nicht gemacht, doch seit dem #Spurenleser Tweetwalk steht das auf meiner Liste.

Als #Spurenleser im Jüdischen Museum München

Ich bin zum ersten Mal im Jüdischen Museum München. Kuratorin Ulrike Heikaus führt uns durch die Dauerausstellung „Stimmen_Orte_Zeiten“. In sieben Installationen wird die jüdische Geschichte und Kultur in München vermittelt. Der Besucher gelangt durch einen kurzen Gang angefüllt mit Stimmen von Zeitzeugen zur Dauerausstellung. Auf einer Münchenkarte am Boden kann man interaktiv die Orte jüdischer Geschichte erkunden.

Die interaktive Installation Orte

Die interaktive Installation Orte

 

Auf dem Zeitstrahl wird die Geschichte der Münchner Juden visualisiert. Besonders gut gefällt mir, dass die Münchner Synagogen als kleine Modelle gezeigt werden. Für mich schließt sich damit der Kreis unserer Spurensuche.

Der Zeitstrahl mit den Modellen der Münchner Synagogen

Der Zeitstrahl mit den Modellen der Münchner Synagogen

 

Ein weiteres visuelles Highlight ist für mich die München-Folge des Comics Everything’s Relative, die der amerikanische Comiczeichner Jordan B. Gorfinkel extra für das Jüdische Museum erstellt hat. Everything’s Relative ist ein Comic, der seit 1996 in der New Yorker Zeitung Jewish Week erscheint. Die sieben Protagonisten kommentieren, erklären, belächeln und hinterfragen das amerikanische Alltagsleben aus einer jüdischen Perspektive. In der München-Folge lässt Gorfinkel zwei seiner Protagonisten nach München reisen. Den Holocaust-Überlebenden Sejde, der in Polen geboren und in München aufgewachsen ist, und den jungen Idealisten Bernie. Es geht um ambivalente Gefühle bei der Rückkehr in die alte Heimat und über jüdische Identitäten im heutigen München. Absolut sehens- und lesenswert.

Manchmal sagt ein Comic mehr als tausend Worte

Manchmal sagt ein Comic mehr als tausend Worte

 

Ein Schluß, der zum Nachdenken anregt

Ein Schluß, der zum Nachdenken anregt

 

Neben der Dauerausstellung gibt es wechselnde Ausstellungen auf zwei weiteren Ausstellungsebenen. Alle Informationen dazu findest du auf der Website des Jüdischen Museums München.

Weitere Informationen für #Spurenleser

Wenn du mehr über die Synagogen in München wissen willst, empfehle ich dir die ausführliche Webseite von Alemannia Judaica.

Die Pinakotheken haben auf Storify die Tweets und Fotos des Tweetwalks zum Nachlesen gesammelt. Und auch das Jüdische Museum hat ein Storify erstellt.

Das Fernsehen war ebenfalls beim Tweetwalk dabei und hat in der BR Rundschau vom 7. Februar 2016 einen Bericht gesendet und auf BR24 einen Artikel veröffentlich. Auch ich durfte vor der Kamera ein Statement zum gelungenen Event abgeben.

Und auch andere Teilnehmer haben über das Event gebloggt:

Vielen Dank an die Pinakotheken München und das Jüdische Museum München für die Einladung zum Tweetwalk #Spurenleser.

Hast du dich schonmal auf Spurensuche jüdischen Lebens in deiner Heimat gemacht? Was hast du dabei entdeckt? Oder hast du schonmal an einem Tweetwalk oder Instagramwalk mitgemacht? Wie waren deine Erfahrungen?

3 Replies to “Als #Spurenleser auf den Spuren jüdischen Lebens in München”

  1. Lutz Prauser

    Danke für die Zusammenfassung. Ein Tweetwalk in allen Ehren, aber er ist doch so viel weniger subtantiell als eine reflektierende, gebündelte Nachbetrachtung im Blog. Hat Spaß gemacht (eigentlich das falsche Wort), Euren Tweetwalk zum jüdischen Leben nachzulesen.
    Sehr interessant, informativ und inspirierend.

    Antwort
  2. Pingback: Mobile Apps zur deutsch-jüdischen Geschichte | Deutsch-jüdische Geschichte digital

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